Flüchtlingsunterkunft auf dem Wilhelmsplatz? Erklärung der Bunten Linken

Claus Wendt: Solidarität kann man nicht verordnen

Claus Wendt hätte es sich einfacher machen können in seiner Stellungnahme. Er hätte einfach sagen können: „Ich habe keine Lust, Einschränkungen in meinem Wohnquartier hinzunehmen, um Flüchtlingen zu helfen. Und viele Mitbürger haben das auch nicht.“ Stattdessen bemüht er sozialphilosophische und sozial-wissenschaftliche Argumente, die einer kritischen Überprüfung nicht standhalten.

Solidarität heißt nicht, wie Wendt formuliert, zu geben um (auch) selbst ein besseres Leben zu erhalten. Solidarität bedeutet Verbundenheit mit und Unterstützung von Anderen in den Bereichen, in denen sie dieser Unterstützung bedürfen. In den zentralen Forderungen der Französichen Revolution taucht dies mit „Solidarité“ und „Fraternité“ (Brüderlichkeit) gleich zweimal auf. Dieses Verständnis zog sich durch alle politischen Programme der Arbeiterbewegung und deren Selbsthilfeorganisationen. Auch bei den christlichen Kirchen ist ein solidarisches Eintreten für die Armen und Schwachen konstitutiver Glaubensinhalt.

Den Kriegsflüchtlingen, die zur Zeit nach Heidelberg kommen, fehlen in ihren Heimatländern weit wichtigere Dinge als „Kinderbetreuung, Sport- und Spielmöglichkeiten“, von denen Wendt befürchtet, sie könnten für die Heidelberger Bevölkerung eingeschränkt werden. Sie müssen in ihren Ländern täglich um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder bangen. Sie verfügen nicht über ausreichend Nahrungsmittel und in der Regel nicht einmal über eine medizinische Grundversorgung.

Selbst bei der wissenschaftlichen Literatur gerät Wendts Argumentation in Schieflage. Er zitiert die Soziologen Walter Korpi und Joakim Palme. Diese ziehen in der Veröffentlichung „The Paradox of Redistribution and Strategies of Equality“ die Schlussfolgerung, dass Sozialleistungen langfristig umso weniger im Sinne einer Verringerung von Armut und Ungleichheit wirksam sind, je gezielter sie ausschließlich auf arme Bevölkerungsschichten ausgerichtet sind. Diese Studie umfasst allerdings soziale Transferleistungen in entwickelten westlichen Gesellschaften. Hieraus Schlüsse für die heutige Situation in bezug auf Flüchtlinge zu ziehen, lässt sich kaum vertreten.

2013 ist zudem die Studie einer belgische Arbeitsgruppe unter Ive Marx zum gleichen Thema erschienen. Diese Studie bezieht sich auf deutlich mehr entwickelte Länder, erstreckt sich über einen längeren Untersuchungszeitraum und kommt zu gegenteiligen Ergebnissen.

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Korpi, W. and Palme, J. (1998) ‘The Paradox of Redistribution and Strategies of Equality: Welfare State Institutions, Inequality, and Poverty in the Western Countries’, American Sociological Review, Vol. 63, No. 5, p. 661-687.

Marx, I. Salanauskaite, L. Verbist, G (2013) The Paradox of Redistribution Revisited: And That It May Rest in Peace? IZA DP No. 7414

08.01.2016